Get Even im Test: So wertet die deutsche Presse
VON HARALD FRÄNKEL
Mit dem Release des Mystery-Thrillers Get Even ist ein Überraschungshit erschienen: Giga Games feiert ihn im Test als „digitales Kunstwerk“, 4Players und Gameswelt werfen mit Awards um sich und Eurogamer findet den Titel „Herausragend“.
Man nehme das Grusel-Spiel Outlast, vermenge es mit dem Adventure Life is Strange, hebe das Prinzip eines Stealth-Shooters unter, würze mit einer Prise Cyberpunk á la Deus Ex, garniere das Ganze mit dem Horror-Film Saw, dem Science-Fiction-Streifen Inception und etwas James Bond-Technikschnickschnack - schwubbeldiwupp, fertig ist Get Even, ein düsterer, ungewöhnlicher Mystery-Thriller. Nein, kürzer lässt sich das storyintensive Psychospielchen von Bandai Namco kaum hinreichend erklären, sorry!
Vielleicht sind es die wahnwitzig-bizarren Bausteine des Titels, die dafür gesorgt haben, dass er bislang unter dem Radar vieler Spielemagazine und Spielefans flog. Dabei bietet Get Even sogar noch viel mehr, zum Beispiel das, was man gemeinhin Brainfuck/Mindfuck aka „Gehirnfick“ nennt: Die Hintergrundgeschichte führt den Geist regelrecht in die Irre, zwirbelt Seemannsknoten in die Synapsen und löst sie erst nach einigen Wendungen wieder. Wenn man viel Glück hat! Einen ersten Eindruck sollte unser oben verlinktes Video vermitteln.
„Ein Fest für Mystery-Fans“
Für Giga Games ist Get Even (Deutsch: Abrechnung; im Sinne von Rache) nicht weniger als ein „digitales Kunstwerk“. Deshalb bekommt es im Review fette 9 von 10 Punkten. „Get Even testet die Grenzen des interaktiven Erzählens, ohne dabei vollständig auf bewährtes Gameplay zu verzichten. Ein Fest für Mystery-Fans“, heißt es im Fazit von Alexander Gehlsdorf. Get Even sei weder Shooter noch Horrorspiel, Walking-Simulator oder Adventure, enthalte aber Elemente aus allen Genres. „Ob du schleichst oder schießt, hat Auswirkungen auf die Handlung. Allerdings merkst du davon im ersten Moment nichts, sondern stellst erst später fest, dass du unbewusst allerhand Entscheidungen getroffen hast.“
Ein Stapel Rollstühle mit Leiche oben drauf? Soll mal einer behaupten, Get Even sei nicht verstörend.
Wie in der Deus Ex-Reihe geht es viel um Handlungsweisen und die daraus resultierenden Konsequenzen. Mit denen muss der Spieler leben, während er in der Ich-Perspektive durch eine düstere, depressive, dystopische Welt wandelt. Protagonist Cole Black weiß zu Beginn eigentlich nur, dass er nichts weiß. Amnesie! Er merkt aber frühzeitig, dass er sich einem Irrenhaus befindet. Dort trifft er, zum Szenario passend, auch auf allerlei groteske Gestalten. Und wenn sich ein mysteriöser Mann namens Red immer wieder über Fernsehbildschirme meldet und kryptische Kommentare von sich gibt, denkt man unweigerlich an Saw. Zwischensequenzen, Selbstgespräche, Dialoge und gefundene Schriftstücke transportieren das Herzstück des Spiels: die Story.
„Experimenteller Rausch“
Bei 4Players räumt der Titel 85 von 100 Punkte und einen Gold-Award ab. „Get Even ist eine außergewöhnliche Spielerfahrung voller Action, Mystery und WTF-Momente, die man so schnell nicht vergessen wird”, schreibt Michael Krosta im Test. Die polnischen Entwickler von The Farm 51 hätten auf Konventionen gepfiffen und stattdessen einen experimentellen Rausch zwischen Shooter, Stealth, Detektiv-Arbeit, Science-Fiction-Technologie und verstörenden Psycho-Spielchen mit Horror-Anleihen zelebriert. „Man stelle sich vor, The Matrix, Inception und Total Recall würden zusammen mit Layers of Fear, Metal Gear Solid und Alan Wake eine ziemlich verrückte Party feiern.“
Eurogamer verleiht Get Even das Prädikat „Herausragend“. Das Spiel sei ein sehr eigenständiger Mix aus Gameplay-Elementen wie auch inhaltlichen Versatzstücken, erzählerisch brillant und spielerisch solide genug, heißt in der Rezension. Dass der Titel tatsächlich unter dem Radar flog, beweist eine weitere Aussage von Martin Woger: „Get Even ist ohne Frage eine Überraschung. Es ist nicht der halbherzige Deckungsshooter mit ein paar Horror-Elementen, nach dem es zunächst aussieht. Get Even ist einer der tiefgängigsten Psycho-Thriller, der sich in dieses für das Medium noch frische Thema verirrt hat.“
Die Karte zeigt nicht nur Wege auf, sondern auch Feinde und Blickrichtung. Anschleichen, abmurksen!
Bei aller Storylastigkeit: Get Even entpuppt sich nicht nur als rund zehn Stunden langer interaktiver Film zum Mitmachen. Als Gameplay-Elemente gibt es immer wieder kleinere Rätsel, der Held darf mit einem Waffen-Prototypen um die Ecke schießen, sich an Feinde anschleichen und sie lautlos ausschalten - und sein Superduper-Handy einsetzen! Besagtes Smartphone verfügt über eine wegweisende Kartenfunktion und zeigt auch die Gegner. Ein integriertes UV-Licht macht unter anderem Fuß- und/oder Blutspuren sichtbar, die Thermovision-App registriert Wärme und der Scanner liest wichtige Daten aus der Umgebung und identifiziert sowohl Gegenstände als auch Personen.
„Gelungene Mischung“
Gameswelt vergibt wie Eurogamer bereits länger keine Wertungsnote mehr. Get Even bekommt dafür aber gleich zwei Auszeichnungen, den Gamestipp- und einen Sound-Award. Sven Wagener: „Von Beginn an wurde ich in die düstere Atmosphäre gezogen, was besonders durch die mehr als gelungene Sounduntermalung geschah. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich mich unbewusst von der Geräuschkulisse antreiben ließ und mein Blutdruck gehörig nach oben ging. Auf jeden Fall kann ich Get Even all denen empfehlen, die starke Nerven haben. Die Mischung aus Shooter-, Horror-, Mystery- und Adventure-Elementen ist mehr als gelungen.“
Neben dem Handy ein weiteres Technikspielzeug: das Gewehr, das bei Bedarf um die Ecke schießt.
Schwächer schneidet Get Even bei PC Games (74 von 100 Punkte), GamersGlobal (7 von 10 Punkte), Computer Bild Spiele (Schulnote 3,38 = Befriedigend) und Spieletipps (68 von 100 Punkte) ab. Einige dieser Wertungen kann der Verfasser dieser Zeilen, der sich im Rahmen der Gamesplanet-Presseschau in der Regel neutral verhält, nicht wirklich nachvollziehen: Ich glaube, dass der digitale Psycho-Thriler schlichtweg unterschätzt wurde und wird. Gerade das Storytelling stellt in Spielen häufig eine Schwäche dar, Get Even ist in dieser Disziplin ein Sahneschnittchen. Und das sagt jemand, der sich von Zwischensequenzen in Action-Titeln bisweilen regelrecht belästigt fühlt, weil er einfach nur ballern möchte. Für mich ist Get Even ganz klar ein Geheimtipp. M i n d e s t e n s!
Schlussnotiz: Zum Redaktionsschluss dieses Artikels verbuchte Get Even bei den Userwertungen auf Metacritic.com 8,2 von zehn möglichen Punkten.
Die wichtigsten deutschen Tests auf einen Blick:
Giga Games: 9/10 (Test lesen)
4Players: 85/100 und Gold-Award (Test lesen)
Eurogamer: „Herausragend“ (Test lesen)
Gameswelt: „Fesselnder Psycho-Shooter“, Gamestipp- und Sound-Award (Test lesen)
PC Games: 74/100 (Test lesen
GamersGlobal: 7/10 (Test lesen)
Computer Bild Spiele: Befriedigend (Test lesen)
Spieletipps: 68/100 (Test lesen)
Die Rezensionen von Gamestar und Gamona waren bei Redaktionsschluss noch nicht online.
Tipp des Tages: In manchen Situationen sollte man nicht um ein gemeinsames Selfie bitten.