Review: Höhen & Tiefen -- Die Leiden des jungen Evan Pettiwhisker Tildrum
VORWORT
Es steht ein Elephant im Raum!
Nicht wortwörtlich, selbst die Macher hinter der Ni no Kuni-Reihe haben bislang noch keinen Rüsselträger als Herrscher oder Mitstreiter aufgefahren, dennoch müssen wir uns aber zuallererst mit dem sprichwörtlichen Elephanten im Raum befassen:
- Ist Ni no Kuni II - Revenant Kingdom ein in allen Belangen würdiger Nachfolger des originalen Meisterwerks, Ni no Kuni - Wrath of the White Witch?
Jein.
- Ist Ni no Kuni II dennoch ein tolles JRPG, das man als Fan des Genres nicht verpassen sollte? In meinen Augen ganz klar: Ja!
Aaaaaber:
Genauso wie mein "Jein" weiter oben ist auch dieses "Ja" ganz ausdrücklich mein subjektiver Eindruck, und damit nicht zwingend auf euch alle übertragbar.
Daher erkläre ich euch nun, weshalb ich zu diesen Bewertungen gekommen bin, und gehe dabei zunächst auf das Spiel an sich ein, um es zum Schluß in Kontext zu seinem grandiosen Vorgänger zu setzen.
STORY & PROTAGONIST
Ni no Kuni II ist auf den ersten Blick seinem Vorgänger erst einmal treugeblieben, und präsentiert uns als Protagonisten erneut einen kleinen Jungen, in dessen Erbgut durch einen gewissen King Tom durchaus deutlich durchgeschlagene feline Merkmale zu seinem etwas merkwürdigen Werkatzen-Aussehen geführt haben.
Damit müsst ihr euch schlichtweg abfinden, denn genau wie im Vorgänger gibt es auch hier keinerlei Charaktererstellung, ihr spielt den fix vorgegebenen Evan, denn um dessen Schicksal dreht sich die gesamte Geschichte; ihr seid, als Evan, der Thronfolger des bezaubernden Ortes Ding Dong Dell, den Veteranen der Reihe natürlich auch schon aus dem Original kennen.
Allerdings spielt Ni no Kuni II eine lange Zeit nach dem ersten Teil, wobei der genaue Zeitraum unbekannt ist; relevant dabei ist, daß sich die Welt deutlich verändert hat, und wir so viele neue Orte und Regionen besuchen können, anstatt die gleiche Overworld wie im ersten Teil zu bereisen.
Die Story startet also mit unserem Protagonisten, Kronprinz Evan, der durch einen Putsch am Tag seiner Krönung alles verliert: Königreich, Familie, Status.
Im Laufe der etwa 40 - 45 stündigen Hauptstory (mit Side Quests und Kingdom Management bis zu 100 Stunden!) helft ihr Evan aber nicht etwa dabei, einfach sein altes Königreich zurückzuerobern, nein:
Evan's Traum ist es, ein völlig neues Königreich zu gründen, ein Reich, in dem alle Völker, alle Rassen, frei und gleich leben können. Ein hehres Ziel, doch leider bedeutet dies auch, daß sich die Story viel mehr um das Königreich an sich, als um Evan und seine engsten Verbündeten persönlich drehen wird.
Das ist insofern schade, als es auch bedeutet, daß vollvertonte Dialoge und die im Vorgänger so phantastisch schönen Zwischensequenzen nur extrem selten zu finden sind; die allermeiste Zeit, ob Side Quests oder Hauptstory, wird euch die Geschichte rein per Texteinblendungen erzählt, und auch die Dialoge sind meistens rein Text mit höchstens kurzen Atmosphäre-Effekten und -Lauten.
GAMEPLAY & KAMPFSYSTEM
Auch in Sachen Gameplay hat sich Einiges geändert, was manche Kenner des Vorgängers vermutlich freuen dürfte, denn allem voran ist das Kampfsystem radikal verändert worden:
Kämpfe finden nun vollständig in Echtzeit statt, und sind zusätzlich deutlich actionlastiger, fluider geworden -- vergleichen lässt sich Ni no Kuni II's Kampfsystem vielleicht am Ehesten mit der Tales of-Reihe -- kommt ihr also mit den Tales-Titeln und deren Kampfsystem gut zurecht, dann dürftet ihr mit Ni no Kuni II in dieser Hinsicht gar kein Problem haben.
Das gilt umso mehr dadurch, daß der Schwierigkeitsgrad auf "Normal" insgesamt sehr niedrig liegt, und die Kämpfe so gerade im Vergleich zum ersten Teil deutlich einfacher zu gewinnen sind; das gilt -- leider -- auch für die Bosskämpfe, die ihr teilweise genauso leicht wie reguläre Feinde besiegen könnt, wenn ihr nur fleißig Side Quests und Random Battles unterwegs mitgenommen habt.
Hier wäre etwas mehr Herausforderung durchaus wünschenswert gewesen, zuallermindest bei den Bossen, um den Kämpfen, und damit vorallem eben auch den Siegen, mehr Bedeutung zukommenzulassen. Anstatt nach einem harten Boss Fight jubelnd das Erfolgserlebnis zu genießen, werdet ihr euch vermutlich mehr als nur einmal im Spielverlauf fragen: "War das gerade ernsthaft ein Boss?"
Level 5 hatte allerdings einige Zeit nach Release per Update nachgebessert, sodaß man jetzt neben "Normal" (originales Balancing) auch zwei jeweils höhere Schwierigkeitsgrade wählen kann, die wiederum dann auch Zugang zu wertvollerem Loot erlauben.
Aber das Kampfsystem hat auch seine netten Seiten, allen voran die knuffigen Higgledies, welche die Familiars des ersten Teils ersetzen -- anders als Letztere kämpfen Erstere nicht mehr anstatt der Party, sondern gemeinsam mit der Party; und damit sind wir dann auch gleich bei einem zentralen Thema des gesamten Spiels:
Gemeinschaft, auf Englisch "Community", denn Evan möchte ja eben, wie oben schon erwähnt, in seinem neuen Königreich alle Völker, alle Communities vereinen, von Menschen über Grimalkin bis hin zu den Higgledies. Genau dieses Königreich stellt dann auch die zweite wesentliche Säule des Gameplays von Ni no Kuni II.
KINGDOM MANAGEMENT & OVERWORLD
Nachdem Evan also seinen ersten Thron verloren hat, fasst er schnell den Entschluß, ein völlig neues Reich zu gründen, und dort alles besser zu machen als alle anderen Reiche der Ni no Kuni (jap. etwa "eine andere Welt").
Dazu müsst ihr zunächst ein geeignetes Stück Land finden, auf dem ihr eure Hauptstadt gründen könnt -- und hier haben wir auch gleich die zweite grundlegende Veränderung der Spielmechaniken gegenüber des ersten Teils: sobald wir die jeweiligen Ortschaften oder Dungeons verlassen, schaltet das Spiel in eine Overworld Map, auf der unsere Party als, nicht wirklich zum restlichen visuellen Stil passende, Bobblehead-Minifiguren mit sehr plastikhaftem Aussehen dargestellt werden.
Habt ihr die passende Location gefunden, könnt ihr also eure Stadt gründen, und werdet anschließend feststellen, daß auch eure Hauptstadt auf diese Weise dargestellt wird; Minifiguren mit übergroßen Köpfen sowohl für Evan, als auch alle NPC-Bewohner eurer Stadt.
Lediglich in eurem Thronsaal schaltet das Spiel wieder zum normalen Anime-Stil zurück, was ich persönlich ästhetisch insgesamt nicht sehr gelungen finde -- mir hätte es weitaus besser gefallen, wäre Level 5 in allen Aspekten des Spiels beim regulären Stil konsequent geblieben.
Aber auch das ist freilich rein subjektiv; vielleicht freut ihr euch ja gerade über die visuelle Abwechslung -- lasst es mich ruhig in den Kommentaren wissen, was ihr von dieser Thematik haltet!
Ich kann aber zum Glück für die restlichen Locations Entwarnung geben:
Die Städte der anderen Reiche, als auch die Dungeons, zeigen euch eure Party im normalen visuellen Stil, und dementsprechend sind wir in diesen Städten dann auch nicht in der Top-Down-Perspektive, sondern in der RPG-typischen 3rd Person-Schulterperspektive unterwegs.
Auf der Weltkarte gibt es indes Schätze und Ressourcen zu finden, mitunter aber auch Ziele für Quests, sowie eine weitere komplette Neuerung des zweiten Teils der Serie:
Army Battles: Sobald ihr ein paar tapfere Soldaten in euren Dienst stellen konntet, gibt es neben den normalen Kämpfen, in denen ihr Evan & Party in klassischer Weise steuert, zusätzlich eben auch die Army Battles, die nicht in speziellen Battle Maps stattfinden, sondern direkt auf der Overworld Map, also (leider) auch wieder in Bobblehead-Optik.
Diese Schlachten dürften Kennern der Pikmin-Spiele vermutlich irgendwie bekannt vorkommen, denn auch hier steuert man ganze Gruppen von Bobbleheads durch die Landschaft, um dort strategische Ziele zu erobern, feindliche Verbände zu bekämpfen (indem ihr in sie hineinlauft), wobei ihr nach und nach unterschiedliche Truppentypen kommandieren dürft, mit denen die Kämpfe im Wesentlichen nach dem altbekannten Schere-Stein-Papier-Prinzip ablaufen.
Diese Kämpfe sind teils kritischer Bestandteil der Hauptstory, somit als Pflicht, zu großen Teilen aber auch für Side Quests und optionalen Content zu bestreiten -- gefällt es euch also nicht so gut, könnt ihr sie ein Stück weit ignorieren, und umgekehrt genauso, gefallen sie euch besonders gut, bekommt ihr häufig Gelegenheit, eure Wuseltruppen über die Weltkarte zu scheuchen.
FAZIT
Ni no Kuni II: Revenant Kingdom ist beiweitem kein schlechtes Spiel, und es bietet gerade für diejenigen Spieler ordentlich Content, die sich auch voll auf den Aufbau und die Verwaltung des Königreichs einlassen können, was oftmals aber auch viele "Gehe nach X und hole Y"-Fetch Quests bedeutet.
Das Kampfsystem sollte deutlich weniger Leute überfordern oder sonstwie stören, dafür ist der Schwierigkeitsgrad insgesamt eher zu leicht -- hier ist Level 5 nach den Beschwerden über angeblich zu harte Kämpfe im ersten Teil leider doch recht weit über's Ziel hinausgeschossen, das Balancing wurde eher verschlimmbessert.
Alles in Allem ist der größte Kritikpunkt in meinen Augen aber:
Das, was Teil 1 so großartig, zu einem so eindrucksvollen Erlebnis gemacht hatte, die Story, die volle Breitseite an Studio Ghibli-Magie, die selbst zu PS3-Zeiten wunderschöne Optik, und die noch viel schöneren, gezeichneten Zwischensequenzen, der Fokus auf die Hauptcharaktere und deren persönliche Reise, voller Emotionen und Entwicklung -- das fällt in zweiten Teil leider fast vollkommen weg.
Insofern:
Ni no Kuni II: Revenant Kingdom ist kein schlechtes JRPG -- aber es ist leider auch kein ebenbürtiger Nachfolger des großartigen Ni no Kuni: Wrath of the White Witch, welchen ihr glücklicherweise schon in wenigen Tagen als Remastered Edition erstmal sogar auf dem PC erleben dürft!