Rück- und Ausblick: World of Watch Dogs
Von Harald Fränkel
Am Dienstag, 29. November, erscheint Watch Dogs 2 für den PC. „Endlich!“, frohlocken die Fans von Teil 1. Halt, stimmt nicht, sie sagen „Emdlischfff“, weil der Mund vorfreudig voll Sabber ist. Grund genug für einen Rück- und Ausblick.
Wenn Mitschüler den 16-jährigen Kevin eines Morgens süffisant grinsend fragen, warum er heimlich die Taschenmuschi „Emmas Glück“ bei Amazon bestellt hat ... wenn in Chantals Absage zum Bewerbungsschreiben steht, dass das Unternehmen grundsätzlich keine Blondinen einstellt, die nach der Suchmaschine Gooogle googeln, um anschließend Sarah Lombardi zu googeln ... und wenn Beatrix von einem plötzlich aufploppenden Windows-10-Fenster aufgefordert wird, ihre Webcam abzuschalten oder sich wenigstens was anzuziehen, ehe sie versucht, nicht auf der Maus auszurutschen ... dann leiden die drei entweder an einer ausgewachsenen paranoiden Schizophrenie, sie tragen einen modischen Aluhut - oder leben tatsächlich in einem Überwachungsstaat à la Watch Dogs.
Hacker-Held Aiden Pearce kann sich nich nicht nur extrem sexy auf Motorhauben von Sportwagen räkeln und dabei rumballern, sondern sie auch klauen. GTA lässt grüßen.
Der 2014 erschienene virtuelle Thriller spielt in einer fiktiven, aber nahen Zukunft: Die städtische Infrastruktur von Chicago wird von einem Computernetzwerk überwacht und kontrolliert. Eine Firma namens Blume Industries speichert mit dem von ihr entwickelten Überwachungsprogramm „ctOS“ sämtliche Informationen über die Bürger. Natürlich ausschließlich nur, einzig und alleine, um Verbrechen zu verhindern und besser aufklären zu können. Wer wie der Verfasser dieser Zeilen in Bayern lebt, kennt das dank der CSU bereits aus dem realen Leben. Der Spieler verkörpert nun einen Hacker namens Aiden Pearce, dessen kriminelle Vergangenheit zu einer Familientragödie führt: Seine sechsjährige Nichte Lena kommt während einer Schießerei durch einen Autounfall ums Leben.
Ich glaube, es hackt!
Der Onkel will die für den Tod der Kleinen verantwortlichen Verbrecher natürlich am Schlafittchen packen; Rache und Selbstjustiz stehen im Mittelpunkt. Unser Hacke-Peter greift dabei zu Waffen, nutzt aber vor allem das Handy als Werkzeug. Heutzutage ist dieses Gerät meist nur für seinen Nutzer gefährlich, wenn dieser beispielsweise während der Jagd nach einem Mewtu-Pokémon mal wieder an einen Laternenpfahl dötzt. Aiden Pearce verwendet es unter anderem, um an Informationen zu kommen, auf Überwachungskameras zuzugreifen, irgendwas in die Luft zu sprengen oder Ampeln zu manipulieren. Es gibt also massig Gehacktes! Wenn an einer Kreuzung plötzlich alle „Lichtsignalanlagen“ (der offizielle Begriff, wieder was gelernt!) gleichzeitig auf Grün springen, entsteht eine ganze Menge Blechschadenfreude - und für einen Gegner ist Endstation. Klar, dass unser Held bei den Behörden ganz schnell ähnlich beliebt ist wie Edward Snowden.
Clara Lille ist wegen ihrer zahlreichen Tätowierungen nicht nur bunt fürs Leben, sondern auch eine fähige Hackerin, die bei den Watch-Dogs-Spielern große Sympathie genießt.
Auf den Spieler wartet eine komplexe, wendungsreiche Geschichte. Irgendwann zwischendurch wird es angesichts der Verschwörungen, Intrigen und vielen unterschiedlichen Charaktere sogar knifflig, zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können - man fühlt sich zeitweise noch stärker arglistiger Machenschaften ausgesetzt als eine Kandidatin in einer Germany's Next Topmodel-Mädchen-WG. Doch das macht selbstverständlich auch einen Teil des Reizes aus. Alle, die Spoiler nur an Autos gut finden, und das erste Watch Dogs noch zur Einstimmung auf Teil 2 spielen, 'tschuldigung, „suchten“ wollen (die Complete Edition hier günstig bestellen), lesen an dieser Stelle besser nicht weiter. Stop! Aus! Ende!
Herzattacke im Wortsinn
Es passiert wirklich eine Menge im Spiel, beinahe so viel wie in einer ganzen Folge Lindenstraße: Da mutiert Kumpel Damien Brenks plötzlich zum Fiesewicht, der Aiden Pearces Schwester Nicole entführt. Dann stellt sich heraus, dass die mit dem Helden gut befreundete, rattenscharfe Tattookünstlerin Clara Lille indirekt mit dem Tod der Nichte zu tun hat. Teils wird es abenteuerlich: Aiden Pearce muss Gangsterboss Dermot „Lucky“ Quinns über die Wupper wuppen, indem er dessen Herzschrittmacher hackt und abschaltet. Dabei erfährt der Protagonist die wahren Hintergründe zu Clara Lilles Handeln. Er soll ihr, wieder besänftigt, bei einer anschließenden Mission das Leben retten und scheitert. Der Tod der Dedsec-Aktivistin hat viele Spieler förmlich geschockt - ein gutes Zeichen für eine gute Charakterzeichnung jenseits jeglicher Eindimensionalität. Ach ja, Damien Brenks nippelt ebenso ab - und bei Oberbösewicht Maurice Vega entscheidet der Spieler letztlich über Leben und Tod.
Orwell is watching you
Watch Dogs zeigt nicht nur literarische Parallelen zum Klassiker 1984 von George Orwell, auch Überlegungen aus Marc Elsbergs Roman Blackout: Morgen ist es zu spät sind zu entdecken. Das Buch des österreichischen Schriftstellers erzählt von den katastrophalen Auswirkungen eines zweiwöchigen, großflächigen Stromausfalls in Europa. Und solch ein Chaos stiftet auch Damien Brenks in Chicago, wenn er gegen Ende seines Abenteuers das gesamte ctOS-System mit einem Virus ausknipst.
Pearce hat per Mobiltelefon eine Gasleitung manipuliert. Soll mal noch einer behaupten, ein Handy sei nur für zwölfjährige Justin-Bieber-Fans lebenswichtig.
Im Nachfolger Watch Dogs 2 gibt's ein Wiedersehen mit Aiden Pearce, allerdings nur als Gastauftritt. Diesmal geht's nach San Francisco, der Held heißt Marcus Holloway. Er arbeitet wie einst die verstorbene Clara Lille für Dedsec, die Gruppierung, die für das reale Web-Kollektiv von Anonymous steht. Der Gegner heißt wieder Blume Industries ... und ctOS 2.0. Watch Dogs 2 könnt ihr ab sofort als preisgünstige Deluxe Edition vorbestellen)